Bei der Nutzung der Wasserkraft zur nachhaltigen Energieerzeugung kommen sich Klimaschutz und Naturschutz in die Quere: Wasserkraftanlagen in Flüssen verändern die Ökologie der Gewässer. Beispielsweise können viele Fische wegen einer Staustufe nicht mehr flussaufwärts oder -abwärts wandern, wie es ihnen ihr Instinkt vorgibt. Um solche Wanderungen dennoch zu ermöglichen, müssen heute an jedem Wehr Fischabstiegs- und -aufstiegsanlagen gebaut werden. Ob diese Anlagen wie gewünscht funktionieren, wird unter anderem durch das Zählen von Fischen überprüft. Auf diese Weise soll nachgewiesen werden, dass ein Wehr die Fischwanderung nicht übermäßig beeinflusst.
Bisher ist das visuelle Fischmonitoring noch mit großem personellem Aufwand verbunden. Dass dieser Aufwand deutlich reduziert werden kann, zeigte das Fraunhofer IFF zusammen mit Projektpartnern aus dem Netzwerk Technologiekompetenz Fluss-Strom im Projekt »Entwicklung eines multisensorischen Analysesystems für ein multikriterielles Fischmonitoring«. Es wurde von 2015 bis 2018 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Bestimmung mit Hilfe künstlicher Intelligenz
Der wichtigste Projektpartner und Leiter des Verbundprojektes »ÖkoZert« (VP 6) war Dr. Konrad Thürmer, Leiter des Instituts für Wasserwirtschaft, Siedlungswasserbau und Ökologie (IWSÖ) in Weimar. Im Hydrolabor Schleusingen des IWSÖ konnte das System ausgiebig getestet werden, bevor es auch im Feldversuch erprobt wurde. Thürmer hatte unter anderem zuvor schon bei einem Projekt bei Döbritschen in der Saale mit Aufzeichnungen per Kameras gearbeitet. Eine Software konnte bereits die Sequenzen auswählen, auf denen Fische zu sehen waren. »Aber die Bestimmung der Fische musste von Biologen vorgenommen werden, das war sehr aufwendig«, berichtet Thürmer.
Das automatisierte Fischmonitoringsystem des Fraunhofer IFF kann hier Abhilfe schaffen. Denn hier übernimmt ein System mit künstlicher Intelligenz (KI) das Erkennen, Vermessen und Bestimmen der Fische, die unter Wasser gefilmt wurden. Das Projektteam mit den IFF-Forschern Frank Mewes und Dr. Andreas Herzog an der Spitze entwickelte eine Software, die auf der Basis von maschinellem Lernen (Deep-Learning-Netzwerke) drei Bildverarbeitungsschritte automatisieren konnte:
- das Segmentieren (die Unterscheidung zwischen Fischen und anderen Objekten oder dem Hintergrund)
- das Bestimmen von Eigenschaften
- das Klassifizieren (das Bestimmen der Art und eventuell weiterer Eigenschaften)
Eine wichtige Einrichtung für die echtzeitfähige Objekterkennung ist ein visueller Softsensor. Dabei handelt es sich um senkrecht verlaufende Liniensensoren, die auf Objekte reagieren. Sie funktionieren ähnlich wie eine Lichtschranke: Wenn ein Fisch im aufgezeichneten Bild den Liniensensor überquert, wird die Umrisssuche des Programms gestartet. Der Algorithmus verfolgt nun das Objekt über eine Anzahl von Einzelbildern (vorwärts und rückwärts in der Zeit), um das beste Bild für eine Klassifikation zu ermitteln.
Die lernende KI muss mit tausenden Beispielbildern trainiert werden. Das bedeutet bei der Einrichtung der Software einen hohen Aufwand, bringt aber überzeugende Ergebnisse hervor. »Die neueste Version funktioniert so gut, dass bei 95 Prozent aller Fische die Art erkannt wird«, sagt Andreas Herzog.
Weitere Innovationen in einem modularen System
Das Fischmonitoringsystem des Fraunhofer IFF bietet jedoch noch mehr Innovationen. »Wir haben ein modulares System entwickelt, das sehr flexibel ist und an die Situation im jeweiligen Einsatzgebiet angepasst werden kann«, erläutert Herzog. Die Halterungen für die verschiedenen Geräte bestehen aus Stangenprofilen in verschiedenen Längen. Auf diese Weise kann der mechanische Aufbau im Fluss einfach montiert und demontiert werden.
Das Projektteam berücksichtigte auch finanzielle Aspekte bei der Umsetzung des Konzepts. Beispielsweise wurden Kameras unterschiedlicher Preisklassen getestet, von 500 bis 3000 Euro. Gute Ergebnisse erzielten die Forscher mit einem Stereoaufbau von jeweils zwei Kameras: Aus der leichten Abweichung zwischen den Aufnahmen der beiden Kameras kann die Entfernung ermittelt werden, was wiederum wichtig ist, um die Größe des Fisches zu bestimmen. Dabei waren die Stereokameras nicht – wie üblich – nebeneinander, sondern übereinander angebracht. »Dadurch können die Erkennungsmerkmale der Fische besser erfasst werden«, erklärt Herzog.
Zugleich galt es, das beste Beleuchtungsverfahren für das System zu ermitteln. Getestet wurden die Beleuchtung von vorn (von der Kameraseite aus), von hinten (Gegenlicht) und von oben. Die letztere Variante erwies sich bei oberflächennahen Messungen als am geeignetsten, in größerer Tiefe die Beleuchtung von vorn. Die Wissenschaftler experimentierten mit Rundscheinwerfern und Balkenbeleuchtung, mit weißem und farbigem Licht sowie Infrarot. »Das sichtbare Licht macht die Fische neugierig und viele bleiben stehen; das ist bei Infrarotlicht anders«, sagt Herzog. Allerdings ist Infrarotlicht energieärmer und dringt nicht so tief ins Wasser ein, was die Aufnahmen undeutlicher macht.
Im Hydrolabor Schleusingen des IWSÖ testete das Projektteam die Systemkomponenten, die ins Wasser gesetzt werden. Zum Maskottchen der ersten Messungen wurde dabei »Knuddel«, ein aufblasbarer Fisch von etwa 50 cm Länge. Für die meisten Tests kamen aber kleinere Tiermodelle zum Einsatz. Mit wasserfesten Tafeln, auf denen schwarze Punkte auf weißem Hintergrund zu sehen waren, wurden die Kameras kalibriert. Zudem wurde das Wasser mit verschieden großen Mengen Schwebstoffe eingetrübt, um zu ermitteln, wie das System bei schlechter Sicht funktioniert. Schließlich fand ein einwöchiger Feldtest in der Bode statt.
Bedeutung des Monitorings wächst
IWSÖ-Leiter Konrad Thürmer sieht für das entwickelte Fischmonitoringsystem in naher Zukunft einen großen Bedarf: »Die Wasserrahmenrichtlinie der EU verlangt, dass sich bis 2027 alle Gewässer in einem guten Zustand befinden«, betont Thürmer. Dazu muss neben dem chemischen Zustand auch regelmäßig geprüft werden, ob sich in einem Gewässer die typischen Pflanzen und Tiere, insbesondere Fische, befinden. Anschließend darf sich der Zustand nicht wieder verschlechtern, was nur durch ein dauerhaftes Monitoring sichergestellt werden kann. Anderenfalls drohen Deutschland Strafzahlungen.
So wundert es Thürmer nicht, dass das Bundesamt für Gewässerkunde Interesse am Monitoringsystem hat. »Wenn die öffentliche Hand die Überwachung der Gewässer jetzt nachhaltig angeht, wäre das ein Meilenstein«, unterstreicht er.